Fehlurteile kommen vor und sie vernichten Menschen.
Datum: Mittwoch, dem 04. September 2019
Thema: Recht-Infos


Fehlurteile kommen vor und sie vernichten Menschen. Dafür gibt es unzählige Ursachen, viele ließen sich verhindern. Eine Bestandsaufnahme.

Wo Menschen arbeiten, geschehen Fehler. Das ist auch nicht anders, wenn diese Menschen in der Justiz arbeiten und Richter heißen. Nicht jeder dieser Fehler führt zwingend zu einem falschen rechtskräftigen Urteil, da mancher Fehler durch ein Rechtsmittel wieder korrigiert werden kann. Mancher, aber leider nicht jeder. Das Ergebnis der anderen Fehler sind Fehlurteile.

Im Zivilrecht kann das schon einmal bedeuten, dass jemand finanziell ruiniert wird, was schlimm genug ist. Im Strafrecht ist ein Fehlurteil zu Gunsten des Angeklagten schlecht, weil eine Straftat ungesühnt bleibt, zu Lasten des Angeklagten ist es eine Katastrophe. Es nimmt einem Unschuldigen nicht nur die Freiheit, es nimmt ihm oft genug sein ganzes bürgerliches Leben,
es vernichtet seine Existenz und die Person, die er vorher war.
Über die Zahl der Fehlurteile wird immer mal wieder gestritten und spekuliert. Wie der „Spiegel“ berichtet, schätzt BGH-Richter Ralf Eschelbach die Zahl der Fehlurteile auf 25 Prozent. Das scheint mir aus meiner persönlichen Erfahrung etwas hoch gegriffen, aber selbst wenn es nur jedes zehnte Urteil betreffen würde, wären es schon viel zu viele.

Die Ursachen solcher Fehlurteile sind vielfältig.
Bereits im Ermittlungsverfahren werden häufig zu einem frühen Zeitpunkt Vorentscheidungen für ein Fehlurteil getroffen,indem die Ermittler sich relativ schnell auf einen bestimmten Hergang und einen bestimmten Verdächtigen festlegen.
Das mag ja auch ganz oft richtig sein, es hat aber fatale Folgen, wenn es falsch war. Dann werden wichtige Spuren nicht gesehen oder falsch interpretiert, Zeugen zu spät oder gar nicht vernommen, Gutachten nicht eingeholt oder übersehen, dass diese unvollständig sind.

Die Liste lässt sich noch erheblich erweitern.
Gerade bei Kapitalverbrechen lastet auf den Ermittlern ein großer Druck, der Öffentlichkeit schnell einen „Täter“ zu präsentieren.
Da will niemand als Versager dastehen. Ursache für üble Ermittlungsfehler ist fast immer die frühe Gewissheit der Ermittler, ihre Hypothese zu Tat und Täter sei richtig. Bekanntestes Beispiel dürfte das sogenannte NSU-Verfahren sein. Aber jeder Verteidiger wird Ähnliches erzählen können.

Wer mit einem bestimmten Vorurteil an die Ermittlungen geht, kommt mit einem bestimmten Ergebnis aus diesen heraus. Das Vorurteil verhindert eine objektive Ermittlung, weil es für alles blind macht, was diesem widerspricht. Das ist dann nicht einmal ein bewusst falsches Ermitteln. Nein, die Ermittler kommen gar nicht dazu, die anderen Hinweise zu sehen, weil ihre Wahrnehmung einer bestimmten inneren Erwartungshaltung folgt. Wir nehmen nur wahr, was wir wahrnehmen wollen. In diesem frühen Stadium eines Strafverfahrens ist eine frühe inhaltliche Beteiligung der Staatsanwaltschaft vonnöten, die aber häufig ihren erprobten Ermittlern von der Polizei allzu großes Vertrauen entgegenbringt. Aber auch der erfahrenste Ermittler kann mal daneben liegen.

Wo Rauch ist, ist Feuer?

Eine Möglichkeit, diesen Ermittlungspannen entgegenzuwirken, wäre eine Supervision der Ermittler. Wer glaubt, er könne als juristischer Laie auf eine Verteidigung verzichten, weil er ja unschuldig ist, produziert selbst eine Fehlerquelle. Das ist ein verdammt riskantes Vertrauen in die Funktionstüchtigkeit der Justiz. So viel Naivität wird oft bestraft und hinterher ist das Gejammer groß. Eine qualifizierte Verteidigung ist immer noch das beste Mittel gegen ein Fehlurteil, wenn auch nicht zwingend erfolgreich.

Landet die Akte dann irgendwann bei der Staatsanwaltschaft, die ja der eigentliche Herr des Ermittlungsverfahrens ist, kann diese natürlich nur mit den Puzzleteilen hantieren, die die Polizei ihr in den Karton gelegt hat. Glücklicherweise gibt es Heerscharen von guten Staatsanwälten und Staatsanwältinnen, die die Ermittlungsfähigkeiten ihrer Hilfsbeamten, also der Kripo, durchaus kritisch beurteilen und die Akte mit weiteren Ermittlungsgesuchen erst mal wieder zurückschicken. Das klappt eben auch nur, wenn der „Denkfehler“ der Ermittler irgendwie greifbar aus der Akte hervorgeht. Manche Staatsanwälte vertrauen aber auch mehr oder weniger sehbehindert bis blind der Erfahrung der Ermittler oder haben einfach zu wenig Zeit, um jede Akte mit der erforderlichen Gründlichkeit zu studieren.

Personelle Unterbesetzung bei der Justiz – eine weitere Fehlerquelle. Kommt es zur Anklage, wird es für den Angeklagten schon einmal ungemütlich. Zwar gilt er aufgrund der Unschuldsvermutung bis zu seiner rechtskräftigen Verurteilung selbstverständlich als unschuldig, das hilft ihm aber wenig. Für bestimmte Presseorgane ist die Unschuldsvermutung eine lächerliche Erfindung von Gutmenschen, die sie nur daran hindern soll, ihre fantasievollen Spitznamen für den Angeklagten angemessen unter das Volk zu bringen.

Das dumme Gequatsche, wo Rauch ist, sei auch ein Feuer, scheinen viele zu glauben. Für manchen ist schon die Anklage und insbesondere deren öffentliche Verbreitung das Ende der bürgerlichen Existenz. Kachelmann ist da nur ein prominentes Beispiel. Da nützt am Ende der schönste Freispruch nicht mehr viel
Angeklagte und Verteidiger verzweifeln sagt einer der es Wissen muss, Christian Lukas-Altenburg ist Autor und Publizist und ist darüberhinaus einer der wohl bekanntesten Rechtsexperten im Deutschen Sprachraum,

Bevor es zu einer Hauptverhandlung kommt, muss das Gericht die Anklage erst einmal zulassen. Dass das einmal nicht geschieht, ist eher selten, kommt aber vor. Vor einigen Monaten lehnte das Landgericht Aachen in einem Mordverfahren die Eröffnung ab. Der Beschuldigte war fünf Jahre lang als Mordverdächtiger den Ermittlungen und dem Mordverdacht ausgesetzt, die Verteidigung bekam erst nach drei Jahren Akteneinsicht, als er für eine Woche in U-Haft genommen wurde. Eine seltene Ausnahme. Normalerweise wird eröffnet.

Und dann kommt die Hauptverhandlung. Die Beweisaufnahme. Das Urteil. Bedauerlicherweise ist diese Urteilsfindung nun aber kein wissenschaftliches Verfahren mit sicheren Ergebnissen, sondern das Ergebnis einer menschlichen Überzeugungsbildung.

Merkwürdigerweise scheinen viele Richter der Meinung zu sein, sie seien tatsächlich in der Lage, die Wahrheit besser von der Unwahrheit unterscheiden zu können als andere Menschen. Vermutlich hilft so eine Selbstein- und -überschätzung sogar bei der Urteilsfindung. Weil die gerade aber nicht nur in Indizienprozessen eine äußerst schwierige Angelegenheit ist, gilt – auch ohne dass es ausdrücklich in der Strafprozessordnung stünde – der alte Rechtssatz „in dubio pro reo“, also „im Zweifel für den Angeklagten“. Es soll eben ohne vernünftige Zweifel feststehen, dass der Angeklagte schuldig ist. Damit der Zweifelssatz zum Zug kommen kann, muss der Richter sich überhaupt einmal zum Zweifeln durchringen. Manche scheinen nie zu zweifeln. Für Angeklagte und Verteidiger zum Verzweifeln.

Lukas-Altenburg Deutschlands schärfster Justiz Kritiker sagt:
Es geschieht nicht selten, dass Strafverfahren so ablaufen, dass man die Voreingenommenheit eines Richters geradezu körperlich spüren kann, auch wenn er formal leider keinen Anlass für einen Befangenheitsantrag liefert. Manche Richter sind so von sich selbst und ihrer vermeintlichen Unfehlbarkeit überzeugt, dass es schon einer guten Verteidigung bedarf, um überhaupt den Hauch von Zweifel in ihnen zu wecken. Die Art und Weise, wie Zeugen vernommen werden, wie insbesondere mit dem Angeklagten – für den ja immer noch die Unschuldsvermutung streitet – umgegangen wird, lässt meist schon nach kurzer Zeit erkennen, wohin die Reise geht.

Zeugen lügen

Natürlich gibt es auch jede Menge positive Beispiele, aber die führen eher nicht zu Fehlurteilen. Vor vielen Jahren verurteilte einmal ein Amtsrichter einen meiner Mandanten – nachdem auch die Staatsanwaltschaft Freispruch beantragt hatte – mit den Worten: „Ich möchte aus meinem Herzen keine Mördergrube machen, ich weiß, dass das Landgericht mich aufheben wird, weil die Beweise nicht ausreichen, aber ich halte sie trotzdem für schuldig und deshalb verurteile ich sie jetzt.“ Dazu fällt einem natürlich nicht mehr viel ein. Richterliche Hybris ist ebenfalls eine Fehlerquelle.

Hinzu kommen natürlich Zeugen, die lügen oder deren Erinnerungen manipuliert sind („false memory effect“), die aus Angst oder Scham etwas verschweigen. Wohl die größte Fehlerquelle. Da Richter bei Erwachsenen selten Glaubwürdigkeitsgutachten einholen, weil sie meinen, auch ohne psychologische Ausbildung am besten zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit von Zeugen berufen zu sein, gibt es hier die meisten Fehler.

Christian Lukas-Altenburg einer der bekanntesten deutschen Justizkritiker im bereich Strafvollstreckung sagt.
Vermeintlichen Opfern und Polizeibeamten wird irgendwie mehr geglaubt als Angeklagten. Die richterliche Frage, warum sollte der Zeuge lügen, kann ich schon nicht mehr hören. Warum sollte er es nicht tun? Die Strafen für nachweisliche Falschaussagen sollten drastisch erhöht werden.

Kommt es dann zu einem Urteil, das der Angeklagte für falsch hält, kann er ebenso wie die Staatsanwaltschaft ein Rechtsmittel einlegen. Alleine dies zeigt schon, dass der Gesetzgeber sich der Fehlbarkeit von Gerichten durchaus bewusst war. Falls die Möglichkeit einer Berufung besteht, also bei Verfahren, die beim Amtsgericht begonnen haben, wird das ganze Verfahren einschließlich der Beweisaufnahme noch einmal wiederholt. Da die Berufungskammer immer wieder mit den Urteilen der gleichen Vorinstanz konfrontiert wird, ergeben sich hier auch schon gewisse Vorbelastungen der Überzeugungsbildung in positiver wie negativer Hinsicht.

Mal eben zwei Jahre U-Haft

Ich erinnere mich noch gut an den Anruf eines Vorsitzenden einer Berufungskammer, der mich fragte, was ich denn an dem Urteil des Amtsgerichts auszusetzen hätte, außer dass es von einer bestimmten Richterin sei. Immerhin bekommt man durch die neue Beweisaufnahme in der Berufung eine realistische Chance, ein Fehlurteil noch einmal zu korrigieren. Es ist immer wieder interessant, zu sehen, wie sich Zeugenaussagen von Mal zu Mal verändern. Ähnlich wie der gefangene Fisch bei jeder Erzählung durch den Angler zu wachsen scheint. Die Erinnerung führt ein von der Realität unabhängiges Eigenleben. Sie kennen das doch auch, früher war alles besser.

Allerdings kann es dann auch sein, dass der Angeklagte bis zu seinem Freispruch mal eben zwei Jahre in U-Haft gesessen hat. Alles schon passiert.

Klappt’s in der Berufung nicht oder gab es die Möglichkeit gar nicht, weil es gleich bei der großen Strafkammer des Landgerichts losging, gibt es noch die Revisionsinstanz. Nicht einfach, da noch etwas zu reißen, da das Urteil nur noch auf Rechtsfehler geprüft wird und die Tatsachenfeststellungen der ersten Instanz wie in Stein gemeißelt sind. Das ist ein großes Problem, weil es einem kaum gelingen kann, einen Fehler in den Tatsachenfeststellungen nachzuweisen.

Da findet sich zum Beispiel ein entlastendes Indiz gar nicht im Urteil wieder oder eine Zeugenaussage wird nur teilweise wiedergegeben und ein für die Verteidigung wichtiger Teil fehlt plötzlich. Ganz übel. Das Revisionsgericht guckt sich nur das Urteil und die Sitzungsprotokolle sowie die Urkunden an, die im Protokoll auftauchen. Was nicht im Protokoll oder im Urteil auftaucht, gibt es in der Regel nicht. Wohl dem, der irgendeinen formalen absoluten Revisionsgrund findet.

Man wird ja bescheiden

Die Beweiswürdigung der ersten Instanz bekommt man selten geknackt, außer sie ist völlig abstrus. Die ist ja die ureigenste Aufgabe des Richters und wird vom Revisionsgericht nur auf ganz grobe Schnitzer wie Zirkelschlüsse, falsche Erfahrungssätze und Ähnliches hin überprüft. Warum zum Beispiel bei erstinstanzlichen Verfahren vor dem Landgericht keine wörtliche Protokollierung – oder noch besser eine Videoaufzeichnung – der Zeugenaussagen erfolgt, ist mir schleierhaft.

Dann könnten die Revisionsrichter mal genau nachvollziehen, was der Zeuge gesagt hat und müssten nicht darauf vertrauen, dass das Gericht schon alles richtig verstanden hat. Kostengründe dürften da keine Rolle spielen und für Überwachungskameras soll ja auch gerade wieder Geld locker gemacht werden. Natürlich sollten diese Videos ausschließlich für die Verfahrenszwecke und nicht zur Volksbelustigung eingesetzt werden. Ich wäre notfalls auch schon mit Tonaufzeichnungen zufrieden. Man wird ja bescheiden.

Es gäbe einige Möglichkeiten, um eine ganze Menge an Fehlurteilen – wenn auch mit Sicherheit nicht alle – zu vermeiden. Im Ermittlungsverfahren, in der Hauptverhandlung und in der Rechtsmittelinstanz. Man müsste es nur ernsthaft wollen.

Christian Lukas-Altenburg 2019
Info@lukasaltenburg.de
(Weitere interessante BIO News, BIO Infos & BIO Tipps gibt es hier.)

Zitiert aus der Veröffentlichung des Autors >> Lukas-Altenburg << auf http://www.freie-pressemitteilungen.de. Haftungsausschluss: Freie-PresseMitteilungen.de / dieses News-Portal distanzieren sich von dem Inhalt der News / Pressemitteilung und machen sich den Inhalt nicht zu eigen!


Fehlurteile kommen vor und sie vernichten Menschen. Dafür gibt es unzählige Ursachen, viele ließen sich verhindern. Eine Bestandsaufnahme.

Wo Menschen arbeiten, geschehen Fehler. Das ist auch nicht anders, wenn diese Menschen in der Justiz arbeiten und Richter heißen. Nicht jeder dieser Fehler führt zwingend zu einem falschen rechtskräftigen Urteil, da mancher Fehler durch ein Rechtsmittel wieder korrigiert werden kann. Mancher, aber leider nicht jeder. Das Ergebnis der anderen Fehler sind Fehlurteile.

Im Zivilrecht kann das schon einmal bedeuten, dass jemand finanziell ruiniert wird, was schlimm genug ist. Im Strafrecht ist ein Fehlurteil zu Gunsten des Angeklagten schlecht, weil eine Straftat ungesühnt bleibt, zu Lasten des Angeklagten ist es eine Katastrophe. Es nimmt einem Unschuldigen nicht nur die Freiheit, es nimmt ihm oft genug sein ganzes bürgerliches Leben,
es vernichtet seine Existenz und die Person, die er vorher war.
Über die Zahl der Fehlurteile wird immer mal wieder gestritten und spekuliert. Wie der „Spiegel“ berichtet, schätzt BGH-Richter Ralf Eschelbach die Zahl der Fehlurteile auf 25 Prozent. Das scheint mir aus meiner persönlichen Erfahrung etwas hoch gegriffen, aber selbst wenn es nur jedes zehnte Urteil betreffen würde, wären es schon viel zu viele.

Die Ursachen solcher Fehlurteile sind vielfältig.
Bereits im Ermittlungsverfahren werden häufig zu einem frühen Zeitpunkt Vorentscheidungen für ein Fehlurteil getroffen,indem die Ermittler sich relativ schnell auf einen bestimmten Hergang und einen bestimmten Verdächtigen festlegen.
Das mag ja auch ganz oft richtig sein, es hat aber fatale Folgen, wenn es falsch war. Dann werden wichtige Spuren nicht gesehen oder falsch interpretiert, Zeugen zu spät oder gar nicht vernommen, Gutachten nicht eingeholt oder übersehen, dass diese unvollständig sind.

Die Liste lässt sich noch erheblich erweitern.
Gerade bei Kapitalverbrechen lastet auf den Ermittlern ein großer Druck, der Öffentlichkeit schnell einen „Täter“ zu präsentieren.
Da will niemand als Versager dastehen. Ursache für üble Ermittlungsfehler ist fast immer die frühe Gewissheit der Ermittler, ihre Hypothese zu Tat und Täter sei richtig. Bekanntestes Beispiel dürfte das sogenannte NSU-Verfahren sein. Aber jeder Verteidiger wird Ähnliches erzählen können.

Wer mit einem bestimmten Vorurteil an die Ermittlungen geht, kommt mit einem bestimmten Ergebnis aus diesen heraus. Das Vorurteil verhindert eine objektive Ermittlung, weil es für alles blind macht, was diesem widerspricht. Das ist dann nicht einmal ein bewusst falsches Ermitteln. Nein, die Ermittler kommen gar nicht dazu, die anderen Hinweise zu sehen, weil ihre Wahrnehmung einer bestimmten inneren Erwartungshaltung folgt. Wir nehmen nur wahr, was wir wahrnehmen wollen. In diesem frühen Stadium eines Strafverfahrens ist eine frühe inhaltliche Beteiligung der Staatsanwaltschaft vonnöten, die aber häufig ihren erprobten Ermittlern von der Polizei allzu großes Vertrauen entgegenbringt. Aber auch der erfahrenste Ermittler kann mal daneben liegen.

Wo Rauch ist, ist Feuer?

Eine Möglichkeit, diesen Ermittlungspannen entgegenzuwirken, wäre eine Supervision der Ermittler. Wer glaubt, er könne als juristischer Laie auf eine Verteidigung verzichten, weil er ja unschuldig ist, produziert selbst eine Fehlerquelle. Das ist ein verdammt riskantes Vertrauen in die Funktionstüchtigkeit der Justiz. So viel Naivität wird oft bestraft und hinterher ist das Gejammer groß. Eine qualifizierte Verteidigung ist immer noch das beste Mittel gegen ein Fehlurteil, wenn auch nicht zwingend erfolgreich.

Landet die Akte dann irgendwann bei der Staatsanwaltschaft, die ja der eigentliche Herr des Ermittlungsverfahrens ist, kann diese natürlich nur mit den Puzzleteilen hantieren, die die Polizei ihr in den Karton gelegt hat. Glücklicherweise gibt es Heerscharen von guten Staatsanwälten und Staatsanwältinnen, die die Ermittlungsfähigkeiten ihrer Hilfsbeamten, also der Kripo, durchaus kritisch beurteilen und die Akte mit weiteren Ermittlungsgesuchen erst mal wieder zurückschicken. Das klappt eben auch nur, wenn der „Denkfehler“ der Ermittler irgendwie greifbar aus der Akte hervorgeht. Manche Staatsanwälte vertrauen aber auch mehr oder weniger sehbehindert bis blind der Erfahrung der Ermittler oder haben einfach zu wenig Zeit, um jede Akte mit der erforderlichen Gründlichkeit zu studieren.

Personelle Unterbesetzung bei der Justiz – eine weitere Fehlerquelle. Kommt es zur Anklage, wird es für den Angeklagten schon einmal ungemütlich. Zwar gilt er aufgrund der Unschuldsvermutung bis zu seiner rechtskräftigen Verurteilung selbstverständlich als unschuldig, das hilft ihm aber wenig. Für bestimmte Presseorgane ist die Unschuldsvermutung eine lächerliche Erfindung von Gutmenschen, die sie nur daran hindern soll, ihre fantasievollen Spitznamen für den Angeklagten angemessen unter das Volk zu bringen.

Das dumme Gequatsche, wo Rauch ist, sei auch ein Feuer, scheinen viele zu glauben. Für manchen ist schon die Anklage und insbesondere deren öffentliche Verbreitung das Ende der bürgerlichen Existenz. Kachelmann ist da nur ein prominentes Beispiel. Da nützt am Ende der schönste Freispruch nicht mehr viel
Angeklagte und Verteidiger verzweifeln sagt einer der es Wissen muss, Christian Lukas-Altenburg ist Autor und Publizist und ist darüberhinaus einer der wohl bekanntesten Rechtsexperten im Deutschen Sprachraum,

Bevor es zu einer Hauptverhandlung kommt, muss das Gericht die Anklage erst einmal zulassen. Dass das einmal nicht geschieht, ist eher selten, kommt aber vor. Vor einigen Monaten lehnte das Landgericht Aachen in einem Mordverfahren die Eröffnung ab. Der Beschuldigte war fünf Jahre lang als Mordverdächtiger den Ermittlungen und dem Mordverdacht ausgesetzt, die Verteidigung bekam erst nach drei Jahren Akteneinsicht, als er für eine Woche in U-Haft genommen wurde. Eine seltene Ausnahme. Normalerweise wird eröffnet.

Und dann kommt die Hauptverhandlung. Die Beweisaufnahme. Das Urteil. Bedauerlicherweise ist diese Urteilsfindung nun aber kein wissenschaftliches Verfahren mit sicheren Ergebnissen, sondern das Ergebnis einer menschlichen Überzeugungsbildung.

Merkwürdigerweise scheinen viele Richter der Meinung zu sein, sie seien tatsächlich in der Lage, die Wahrheit besser von der Unwahrheit unterscheiden zu können als andere Menschen. Vermutlich hilft so eine Selbstein- und -überschätzung sogar bei der Urteilsfindung. Weil die gerade aber nicht nur in Indizienprozessen eine äußerst schwierige Angelegenheit ist, gilt – auch ohne dass es ausdrücklich in der Strafprozessordnung stünde – der alte Rechtssatz „in dubio pro reo“, also „im Zweifel für den Angeklagten“. Es soll eben ohne vernünftige Zweifel feststehen, dass der Angeklagte schuldig ist. Damit der Zweifelssatz zum Zug kommen kann, muss der Richter sich überhaupt einmal zum Zweifeln durchringen. Manche scheinen nie zu zweifeln. Für Angeklagte und Verteidiger zum Verzweifeln.

Lukas-Altenburg Deutschlands schärfster Justiz Kritiker sagt:
Es geschieht nicht selten, dass Strafverfahren so ablaufen, dass man die Voreingenommenheit eines Richters geradezu körperlich spüren kann, auch wenn er formal leider keinen Anlass für einen Befangenheitsantrag liefert. Manche Richter sind so von sich selbst und ihrer vermeintlichen Unfehlbarkeit überzeugt, dass es schon einer guten Verteidigung bedarf, um überhaupt den Hauch von Zweifel in ihnen zu wecken. Die Art und Weise, wie Zeugen vernommen werden, wie insbesondere mit dem Angeklagten – für den ja immer noch die Unschuldsvermutung streitet – umgegangen wird, lässt meist schon nach kurzer Zeit erkennen, wohin die Reise geht.

Zeugen lügen

Natürlich gibt es auch jede Menge positive Beispiele, aber die führen eher nicht zu Fehlurteilen. Vor vielen Jahren verurteilte einmal ein Amtsrichter einen meiner Mandanten – nachdem auch die Staatsanwaltschaft Freispruch beantragt hatte – mit den Worten: „Ich möchte aus meinem Herzen keine Mördergrube machen, ich weiß, dass das Landgericht mich aufheben wird, weil die Beweise nicht ausreichen, aber ich halte sie trotzdem für schuldig und deshalb verurteile ich sie jetzt.“ Dazu fällt einem natürlich nicht mehr viel ein. Richterliche Hybris ist ebenfalls eine Fehlerquelle.

Hinzu kommen natürlich Zeugen, die lügen oder deren Erinnerungen manipuliert sind („false memory effect“), die aus Angst oder Scham etwas verschweigen. Wohl die größte Fehlerquelle. Da Richter bei Erwachsenen selten Glaubwürdigkeitsgutachten einholen, weil sie meinen, auch ohne psychologische Ausbildung am besten zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit von Zeugen berufen zu sein, gibt es hier die meisten Fehler.

Christian Lukas-Altenburg einer der bekanntesten deutschen Justizkritiker im bereich Strafvollstreckung sagt.
Vermeintlichen Opfern und Polizeibeamten wird irgendwie mehr geglaubt als Angeklagten. Die richterliche Frage, warum sollte der Zeuge lügen, kann ich schon nicht mehr hören. Warum sollte er es nicht tun? Die Strafen für nachweisliche Falschaussagen sollten drastisch erhöht werden.

Kommt es dann zu einem Urteil, das der Angeklagte für falsch hält, kann er ebenso wie die Staatsanwaltschaft ein Rechtsmittel einlegen. Alleine dies zeigt schon, dass der Gesetzgeber sich der Fehlbarkeit von Gerichten durchaus bewusst war. Falls die Möglichkeit einer Berufung besteht, also bei Verfahren, die beim Amtsgericht begonnen haben, wird das ganze Verfahren einschließlich der Beweisaufnahme noch einmal wiederholt. Da die Berufungskammer immer wieder mit den Urteilen der gleichen Vorinstanz konfrontiert wird, ergeben sich hier auch schon gewisse Vorbelastungen der Überzeugungsbildung in positiver wie negativer Hinsicht.

Mal eben zwei Jahre U-Haft

Ich erinnere mich noch gut an den Anruf eines Vorsitzenden einer Berufungskammer, der mich fragte, was ich denn an dem Urteil des Amtsgerichts auszusetzen hätte, außer dass es von einer bestimmten Richterin sei. Immerhin bekommt man durch die neue Beweisaufnahme in der Berufung eine realistische Chance, ein Fehlurteil noch einmal zu korrigieren. Es ist immer wieder interessant, zu sehen, wie sich Zeugenaussagen von Mal zu Mal verändern. Ähnlich wie der gefangene Fisch bei jeder Erzählung durch den Angler zu wachsen scheint. Die Erinnerung führt ein von der Realität unabhängiges Eigenleben. Sie kennen das doch auch, früher war alles besser.

Allerdings kann es dann auch sein, dass der Angeklagte bis zu seinem Freispruch mal eben zwei Jahre in U-Haft gesessen hat. Alles schon passiert.

Klappt’s in der Berufung nicht oder gab es die Möglichkeit gar nicht, weil es gleich bei der großen Strafkammer des Landgerichts losging, gibt es noch die Revisionsinstanz. Nicht einfach, da noch etwas zu reißen, da das Urteil nur noch auf Rechtsfehler geprüft wird und die Tatsachenfeststellungen der ersten Instanz wie in Stein gemeißelt sind. Das ist ein großes Problem, weil es einem kaum gelingen kann, einen Fehler in den Tatsachenfeststellungen nachzuweisen.

Da findet sich zum Beispiel ein entlastendes Indiz gar nicht im Urteil wieder oder eine Zeugenaussage wird nur teilweise wiedergegeben und ein für die Verteidigung wichtiger Teil fehlt plötzlich. Ganz übel. Das Revisionsgericht guckt sich nur das Urteil und die Sitzungsprotokolle sowie die Urkunden an, die im Protokoll auftauchen. Was nicht im Protokoll oder im Urteil auftaucht, gibt es in der Regel nicht. Wohl dem, der irgendeinen formalen absoluten Revisionsgrund findet.

Man wird ja bescheiden

Die Beweiswürdigung der ersten Instanz bekommt man selten geknackt, außer sie ist völlig abstrus. Die ist ja die ureigenste Aufgabe des Richters und wird vom Revisionsgericht nur auf ganz grobe Schnitzer wie Zirkelschlüsse, falsche Erfahrungssätze und Ähnliches hin überprüft. Warum zum Beispiel bei erstinstanzlichen Verfahren vor dem Landgericht keine wörtliche Protokollierung – oder noch besser eine Videoaufzeichnung – der Zeugenaussagen erfolgt, ist mir schleierhaft.

Dann könnten die Revisionsrichter mal genau nachvollziehen, was der Zeuge gesagt hat und müssten nicht darauf vertrauen, dass das Gericht schon alles richtig verstanden hat. Kostengründe dürften da keine Rolle spielen und für Überwachungskameras soll ja auch gerade wieder Geld locker gemacht werden. Natürlich sollten diese Videos ausschließlich für die Verfahrenszwecke und nicht zur Volksbelustigung eingesetzt werden. Ich wäre notfalls auch schon mit Tonaufzeichnungen zufrieden. Man wird ja bescheiden.

Es gäbe einige Möglichkeiten, um eine ganze Menge an Fehlurteilen – wenn auch mit Sicherheit nicht alle – zu vermeiden. Im Ermittlungsverfahren, in der Hauptverhandlung und in der Rechtsmittelinstanz. Man müsste es nur ernsthaft wollen.

Christian Lukas-Altenburg 2019
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